Sonntag, 17. April 2016

Die Wundertüte oder: Es wird ein Wein sein, doch er wird alt sein …



Das Weihnachtsgeschenk 2015 von meinem Bruder Heinz und meiner Schwägerin Svetlana habe ich mit den Worten „wo habt ihr denn das bitte ausgegraben!“ geöffnet. Den beiden verdanke ich überhaupt die originellsten Weinverkostungen der letzten Jahre. Und mit „ausgraben“ lag ich gar nicht so falsch. Denn die Geschichte hinter dem mit 6 Flaschen gefüllten Weinkarton ist durchaus originell: ein älteres deutsches Ehepaar mit beachtlicher Weinsammlung (40.000 Einzelflachen ab 1975, alle aus Deutschland) lagerte diese in einem gepachteten Weinkeller. Als der Pachtvertrag vor ein paar Jahren auslief, kamen sie über Umwege an Martin Steinmann (Schloss Sommerhausen in Franken), der die Weine abholte, zwischenlagerte und im Auftrag des Ehepaars diese „zum Wohl der Allgemeinheit“ einsetzte, wie in der Weinzeitschrift VINUM 11/2015 zu lesen war. Ergo wurden die Weine in sogenannte „Wundertüten“, sprich: Kartons mit Überraschungsinhalt verpackt, der Erlös wird für einen guten Zweck (Wine Saves Life) gespendet. Welch nette Idee!



Nun haben wir zu fünft - Svetlana, Heinz, Marlies, Andi & ich das Set an Weinen verkostet. Unsere Erwartungen waren klar: 1) es wird ganz sicher spannend, 2) es werden sicher ein paar untrinkbare Weine dabei sein (was man wahrlich keinem der Winzer vorhalten kann, Weißweine werden nun einmal nicht unbedingt für solch lange Lagerzeit produziert), und 3) es wird auch was Gutes dabei sein. Das sollte alles zutreffen, auch wenn wir uns darin täuschten, welche Flaschen trinkbar sein würden. Es waren ausschließlich Weißweine im Spiel.

Die Verkostungsprozedur:
  • Reihenfolge: von jung auf alt stimmt hier zwar inhaltlich, aber nicht vom Wording - es war von alt bis noch älter :-) (22  bis 40 Jahre!)
  • Es war keine Blindverkostung - die Information am Etikett brachte bei einer Verkostung so alter Weißweine ohnehin wenig
  • In der Sensorik gibt es eine Methode, die sich „Facial Action Coding System“(FACS) nennt. Dabei werden Gesichtsmuskelbewegungen analysiert, und daraus auf die Akzeptanz bzw. Ablehnung des verkosteten Produktes geschlossen. Früher wurden Testpersonen beim Verkosten gefilmt und die Videosequenzen von geschulten Personen ausgewertet, mittlerweile gibt es eigene Programme, die diese Aufgabe übernehmen (Face Reader). Wir haben das Ganze in stark vereinfachter Form gemacht: jeder wurde vor und unmittelbar nach dem ersten Schluck abgelichtet. Ich habe den Mitkostern und Mitkosterinnen allerdings versprochen, hier keine dieser Bilder preiszugeben.
  • ja, wir hatten einen Spucknapf
  • Ich habe notiert, welche Kommentare und Beschreibungen gefallen sind.
Den Anfang machte ein Muskateller Kabinett aus dem Jahr 1994, Schliengener Sonnenstück, mit 10 vol%, von der ersten Markgräfler Winzergenossenschaft. Der 22 jährige wurde mit Skepsis geöffnet - und lag eindeutig über unseren Erwartungen. Er hatte erstaunlich viel Säure. Geschmacklich hätten wir ihn bei einer Blindverkostung wohl als Chardonnay eingestuft, er roch extrem nach Butterkaramell. An Muskateller erinnerte er nicht im Entferntesten. Er stellte sich letztlich als der zweitbeste des ganzen Sets heraus.

Nummer 2, ein Muskateller Kabinett im selben zarten Alter wie der erste, stammte von der Wasenweiler Winzergenossenschaft. Er präsentierte sich mit viel Säure, ergo zusammenziehend, und oxidiert mit einem ausgeprägten Honigton. Wir dekantierten ihn, das machte ihn besser, er bekam letztlich als Gruppenergebnis Rang 3.

Die nächsten 3 Flaschen reihten sich ausnahmslos in der Kategorie „unterhaltsam“ ein:

Nummer 3 - ein Riesling Kabinett aus dem Jahre 1990 mit 9 vol%, Kreuznacher Kronenberg - roch zwar  wie Wein 2 nach Honig, dazu gesellte sich allerdings der „Duft“ verbrannter Autoreifen, die vor allem retronasal (im Mund) deutlich hervorkamen. Svetlana fand ihn gleich von Anfang an sehr animalisch, und auch mich erinnerte er im Abgang an ein nasses Katzenfell. Noch Fragen?

Als Nummer 4 verkosteten wir das Piesporter Treppchen vom Weingut Kurt Hain, Piesport/Mosel 1983. Wir haben viel gelacht beim Kosten!

Es folgte an Stelle 5 ein 1979er Riesling Kabinett vom Weingut Eser. Schon der Kork roch nach Räucherspeck, und diese Note - gepaart mit Gummireifen und viel Säure - hatte auch der Wein. Heinz: „puuuuh, ja, langer Abgang …“ Immerhin, die goldgelbe Farbe des Weines war schön, aber das Auge trinkt halt nur begrenzt mit.

Probe 6 war dann die „best of Wundertüten“-Flasche, eine Riesling Auslese aus dem Jahr 1976, Weinheimer Sybillenstein, vom Weingut Hans Nierstheimer in Nack. Orange-goldene Farbe, der Geruch gut, sauber, nach Honig, aber auch nach Frucht, im Geschmack gut, natürlich mit der entsprechenden Alterungsnote, aber immerhin. Wein, wir gratulieren zum 40er!

Fazit: sehr originell! Wer sich gerne auf Experimente einlässt so wie wir, hat mit einer Wundertüte in jedem Fall einen unterhaltsamen Abend!

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